Design Tip

6 Wege zu erfolgreichen Hinterschneidungen bei Spritzgussteilen

Erwägen Sie für Teile mit Hinterschneidungen komplexe Techniken wie Seitenschieber, Zwangsentformung, Formeinsätze etc.

Hinterschneidungen sind diejenigen Merkmale eines Spritzgussteils, die dafür verantwortlich sind, dass das Teil nicht aus der Form ausgeworfen wird. Bei Formen mit geradem Rückzug, wie Protolabs sie verwendet, sind dies alle Vorsprünge, Löcher, Kavitäten oder Vertiefungen im Teil, deren Ausrichtung nicht senkrecht zur Trennebene der Form verläuft.

Undercut illustration
Da Hinterschneidungen wie in den Beispielen das Auswerfen der Teile schwierig oder gar unmöglich machen, sollten Sie diese möglichst vermeiden.

Beispiele hierfür sind die Gewinde bei einem spritzgegossenen Verschluss, der Kanal durch einen Kunststoff-Schlauchverbinder, der Schlitz für die Power-Taste an der Seite eines Smartphone-Gehäuses, die abgewinkelte Wulst an der Außenseite eines Hydraulikblocks oder die Rastnasen an der Unterseite einer Rücklichtkappe.

Es gibt viele weitere Beispiele für solche Teile, für die durchweg ein paar Tricks beim Spritzgießen – oder kleinere Änderungen am Teiledesign – angewendet werden müssen. Der Design-Tipp dieses Monats behandelt diese Techniken:

  • Trennebenen
  • Seitenschieber
  • Zwangsentformung
  • Manuelle Formeinsätze
  • Teiledesign und Nachbearbeitungen
1. Trennebenen

Am einfachsten können Sie Hinterschneidungen mitunter vermeiden, indem Sie die Trennebene der Form so platzieren, dass sie die Hinterschneidung kreuzt. Sie brauchen einen eckigen oder runden Abstandshalter als Positionierungs- oder Fixiervorrichtung an einem Motorgehäuse? Wenn das Teil außen eine Formschräge hat, reicht es möglicherweise, die Winkel der Schrägen anzupassen und die Trennebene so zu verschieben, dass sie die Abstandshalter kreuzt. Wenn Sie die Trennebene im Zickzack anlegen, können Sie mitunter sogar mehrere Hinterschnittprobleme lösen. Die Ausrichtung der Form und die Position der Trennebene hängen jedoch auch von der Teilegeometrie, dem Materialfluss und einer Reihe weiterer Faktoren ab. Sie brauchen daher möglicherweise eine andere Lösung, nämlich senkrechte Seitenschieber.

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Um wie links ein Teströhrchen mit nur einem Kern und einer Kavität anzufertigen, braucht das Werkzeug eventuell eine höhere Formschräge und Wandstärke, um den Auswurf und die maschinelle Nachbearbeitung zu ermöglichen. Wenn das Teströhrchen jedoch wie in der rechten Abbildung liegend mit der Trennebene am Teströhrchen entlang platzieren und den Innenkern mit einem Seitenschieber formen, kann das Teil auf der Seite liegend ausgeworfen werden. Dadurch lässt sich auch die erforderliche Formschräge reduzieren.
2. Seitenschieber

Nehmen wir ein rohrförmiges Teil wie den bereits erwähnten Schlauchtülle. Dies ist ein hervorragendes Anwendungsbeispiel für einen senkrechten Seitenschieber. Damit kann der Kanal in diesem und ähnlichen Teilen, wie etwa den Griffen von Steuerhebeln und Schraubendrehern geformt werden. In diesem Fall platzieren Sie die Trennebene horizontal entlang der Längsachse des Teils. Während sich das Werkzeug schließt, wird zeitgleich der Seitenschieber in die Form geschoben. Die anschließend in die Form eingespritzte Kunststoffschmelze kühlt kurz ab. Beim Öffnen des Werkzeugs wird der Seitenschieber so weit aus der Form gezogen, dass die Hinterschneidung frei liegt und das Teil ausgeworfen werden kann.

Seitenschieber können maximal 213,84 mm breit und 60,38 mm hoch sein und insgesamt 73,66 mm verschoben werden. Dies sind die Grenzwerte für die Automatisierung des Prozesses. Seitenschieber können auch manuell entfernt werden, worauf später noch eingegangen wird. In einem Werkzeug sind auch mehrere Seitenschieber möglich. Wie viele und wie weit sie verschoben werden können, hängt wiederum von der Größe, der Komplexität und der Anzahl der Kavitäten der Form ab. Der mit den Seitenschiebern verbundene Aufwand führt möglicherweise zu erhöhten Werkzeugkosten, was sich jedoch durch den Erhalt optimaler Teile rechtfertigen lässt.

molded core cavity and test tube illustration
Um wie links ein Teströhrchen mit nur einem Kern und einer Kavität anzufertigen, braucht das Werkzeug eventuell eine höhere Formschräge und Wandstärke, um den Auswurf und die maschinelle Nachbearbeitung zu ermöglichen. Wenn das Teströhrchen jedoch wie in der rechten Abbildung liegend mit der Trennebene am Teströhrchen entlang platzieren und den Innenkern mit einem Seitenschieber formen, kann das Teil auf der Seite liegend ausgeworfen werden. Dadurch lässt sich auch die erforderliche Formschräge reduzieren.

Beachten Sie, dass Seitenschieber am besten mit starren Materialien wie Nylon, Polycarbonat, Acetal usw. funktionieren. Dies gilt insbesondere bei sehr tiefen Strukturen. Bei flexiblen, gummiartigen Materialien besteht hingegen die Gefahr, dass sie beim Herausziehen am Zylinder anhaften und reißen. Bei diesen Materialien kann eine Zwangsentformung die beste Lösung sein.

3. Zwangsentformung

Die Zwangsentformung bietet eine einfache Möglichkeit, um Objektivabdeckungen, Behälterdeckel und ähnliche Teile zu formen, die später beim Anbringen an einer Lippe einrasten sollen. Anstelle eines Seitenschiebers wird für die Hinterschneidung ein Formeinsatz hergestellt und fest in der Aussparung der Form fixiert. Während des Auswurfs wird das Kunststoffmaterial kurzzeitig verformt und dadurch von der Hinterschneidung gelöst.

Der für die Zwangsentformung gewählte Einsatz sollte glatt und gut gerundet sein und keine spitzen Ecken oder Kanten haben. Wichtig ist auch, dass das Material ausreichend elastisch ist, sodass es leicht vom Einsatz gleitet, ohne zu reißen. Besonders gut eignen sich hierfür Polyethylene mit niedriger Dichte (LDPE) sowie thermoplastisches Elastomer (TPE) und thermoplastisches Polyurethan (TPU).

Auch das passende Auswurfsystem ist bei der Zwangsentformung wichtig. Es muss so geformt sein, dass es die Teile beim Auswerfen nicht punktiert oder durchsticht. Zur Vergrößerung der Auswurffläche kann eine Auswurfplatte in die Form integriert werden.

Was elastische Materialien und Zwangsentformung anbelangt, sollte auch das Spritzgießen mit Flüssigsilikon (LSR) nicht vergessen werden. Das Duroplastverfahren ähnelt dem Kunststoff-Spritzgussverfahren. Es eignet sich insbesondere für Dichtungen und andere Teile, die eine hohe Elastizität erfordern. Im Gegensatz zum Kunststoff-Spritzguss bietet das Verfahren auch mehr Spielraum bei Hinterschneidungen und komplexen Teilegeometrien.

4. Manuelle Formeinsätze

Nehmen wir als Beispiel ein aufklappbares Kunststoffgehäuse, etwa für ein Handmessgerät, mit dem Diabetiker ihren Blutzuckerspiegel prüfen können. Es hat die Größe eines Spielkartensets, das in zwei gleich große Hälften geteilt ist. In der unteren Hälfte verläuft im Innenumfang eine Lippe, an der eine Platine und andere Elektronik befestigt wird. Die Lippe ist für eine Zwangsentformung mit einem Einsatz zu lang und scharfkantig. Auch die Trennebene kann aufgrund diverser Löcher an der Außenseite des Gehäuses nicht verschoben werden. Wie lautet die Lösung?

Hier könnte ein Formeinsatz genau die richtige Lösung sein. Ein maschinell gefertigtes Metallteil bzw. in diesem Fall mehrere Teile, werden von Hand in die Form gesetzt, um die Kavitäten des Teils zu erzeugen. Die Formeinsätze werden anschließend zusammen mit dem Gussteil ausgeworfen. Ein Bediener sammelt sie ein und platziert sie für das nächste Teil im Werkzeug.

Durch den manuellen Eingriff erhöht sich die Zykluszeit gegenüber der Verwendung automatisierter Seitenschieber geringfügig. Für Prototypen und Kleinserien bieten von Hand bestückte Formeinsätze jedoch eine gute Alternative zu Hebern oder Einfallkernen. Da die Einsätze beim Entfernen aus den Teilen sehr heiß sind, muss der Bediener Schutzhandschuhe tragen. Dies kann sich auf die Größe des Einsatzes auswirken. Die Einsätze sollten eine angemessene Größe haben – nach Möglichkeit mindestens 13 mm, jedoch nicht größer als ein Spielkartenset. Je größer der Einsatz, umso höher ist die Belastung für den Bediener, wenn er zweimal pro Zyklus eingreifen muss.

5. Formschlussflächen

Zur Fertigung des oben erwähnten Kunststoffgehäuses bietet sich eine weitere gängige Spritzgusstechnik an. Klemm- und Einrastmechanismen werden oft mithilfe von Formschlussflächen geschaffen. Sie dienen in der Regel dazu, die beiden Hälften eines Spritzgussprodukts zusammenzuhalten. Oft lassen sich dadurch Seitenschieber, Formeinsätze und Zwangsentformungen vermeiden, was die Formgeometrie vereinfacht. Die Formschlussfläche wird in eine Hälfte der Form gefräst und ragt bei geschlossenem Werkzeug in die gegenüberliegende Werkzeughälfte, wodurch bestimmte Teilemerkmale ausgespart werden.

Formschlussflächen bieten eine elegante Möglichkeit zur Vereinfachung der Werkzeugkonstruktion und die Produktionskosten zu senken. Wichtig ist jedoch eine ausreichende Formschräge. Diese sollte vertikal nach Möglichkeit mindestens 3 Grad betragen. Andernfalls reibt eventuell Metall auf Metall, was zu einer Verquetschung führen oder das Werkzeug vorzeitig beschädigen kann.

6. Teiledesign und Nachbearbeitungen

Sie erhalten für jedes auf protolabs.com/de-de/ hochgeladene CAD-Modell eine kostenlose Machbarkeitsanalyse (DFM) Ihres Spritzgussdesigns. Hinterschneidungen und andere Merkmale, die die Formbarkeit beeinträchtigen könnten, sind darin klar gekennzeichnet. Teile sollten ausreichend große Formschrägen haben, um ein einfaches Auswerfen sicherzustellen. Achten Sie auf einheitliche Wandstärken, und halten Sie sich an die Empfehlungen des Kunststofflieferanten. Große, flache Bereiche sollten durch Rippen gestützt werden. Innenliegende Ecken sollten abgerundet und dicke Bereiche entkernt sein, um Einfallstellen zu vermeiden. Verwenden Sie nur feine Oberflächen nur da, wo es nötig ist.

Hier noch ein paar abschließende Tipps zu Hinterschneidungen:

  • Beachten Sie, dass Hinterschneidungen die Vorabkosten für die Form sowie die langfristigen Produktionskosten in die Höhe treiben können. Hinterschneidungen lassen sich nicht immer vermeiden. Unsere Anwendungstechniker können Sie jedoch beraten, wie Sie die Kosten dafür in Grenzen halten.
  • Wichtig ist auch, Ihre langfristigen Produktpläne zu besprechen, um eine möglichst effiziente Form für Ihre Anwendung zu entwickeln.
  • Es kann sich lohnen, Nachbearbeitungsoptionen zu prüfen. Ein Loch nachträglich in ein Spritzgussteil zu bohren oder zu fräsen, kann mitunter kostengünstiger sein, als die Herstellung eines komplexen Werkzeugs. Dies gilt speziell für die Herstellung von Prototypen und Kleinserien.

Erfahren Sie mehr über komplexe Spritzgussverfahren für Teile mit Hinterschneidungen in unserem Whitepaper: „Design und Formbarkeit“.

Bei Fragen können Sie uns selbstverständlich telefonisch unter +49 (0) 89 90 5002 0 oder per E-Mail unter [email protected] kontaktieren. Um noch heute Feedback zu Ihrem Teiledesign zu erhalten, laden Sie Ihr 3D-CAD-Modell einfach auf protolabs.com/de-de/ hoch. Sie erhalten innerhalb weniger Stunden ein interaktives Angebot.