Probleme bei der Konstruktion von Hinterschneidungen mit Seitenschiebern, Einsätzen und Formschlussflächen überwinden

Auf Hinweise zu Hinterschneidungen aus der Designanalyse reagieren

Hinterschneidungen sind bei Kunststoff-Spritzgussteilen eher die Regel als die Ausnahme: angefangen bei Vertiefungen in Smartphone-Hüllen bis hin zu Rastnasen an Ketchupflaschendeckeln und den länglichen Schlitzen in Türscharnieren. Diese wären allesamt nicht möglich, gäbe es da nicht ein spezielles Fertigungselement, das in der Fachsprache als „Hinterschneidung“ bzw. „Hinterschnitt“ bezeichnet wird. In den Analyseergebnissen der CAD-Modelle, die in unser Angebotssystem hochgeladen werden, sind jedoch oft Empfehlungen zu Hinterschneidungen zu finden, die Änderungen am Teiledesign erfordern. Dieser Design-Tipp soll Ihnen helfen, die Empfehlungen schnell und effektiv umzusetzen. Außerdem erfahren Sie, wie Sie andere durch Hinterschneidungen verursachte Probleme lösen können.

Eine Herausforderung bei Hinterschneidungen ist, dass sie den Auswurf des Teils erschweren oder verhindern können. Wenn sich das Werkzeug am Ende des Spritzgusszyklus öffnet, sollte sich das Teil leicht daraus lösen. Mitunter steckt es jedoch in einem Bereich fest, der als Hinterschneidung bzw. Hinterschnitt bezeichnet wird. Die Produktion muss gestoppt und das Teil von der Bedienperson herausgelöst werden. Dabei können sowohl das Teil als auch das Werkzeug beschädigt werden. Eine weitere Herausforderung bei Hinterschneidungen ist, dass diese nicht durch herkömmliches 3-Achsen-Fräsen bearbeitet werden können. Der überstehende Bereich verhindert das Entfernen des darunter befindlichen Materials mit dem Schaftfräser.

Die gute Nachricht: Dies lässt sich mit verschiedenen Techniken vermeiden. Sie sind zwar vielleicht mit etwas höheren Werkzeugkosten verbunden, zahlen sich jedoch definitiv aus, um einen reibungslosen Produktionsablauf sicherzustellen. Nachfolgend erläutern wir, welche Probleme am häufigsten auftreten. Los gehts …


Erforderliche Änderung: Hinterschneidung

Die folgenden Hinterschneidungen lassen sich innerhalb unserer aktuellen Fertigungsmöglichkeiten nicht herstellen. In den ROT markierten Flächen sind Hinterschneidungen vorhanden. BLAUE Linien (falls vorhanden) kennzeichnen die Hinterschnittbereiche.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, um Probleme durch Hinterschneidungen in der Teilegeometrie zu lösen. Sie können beispielsweise das Design von Teilemerkmalen ändern, um die richtige Ausrichtung im Werkzeug sicherzustellen, Einsätze in das Design einfügen oder auch die Hinterschneidungen komplett entfernen.

Eine Option ist, die Lage des Teils in der Form zu verändern. Mitunter reicht ein einfaches Drehen der Ausrichtung aus, um das Problem zu beheben. Anstatt das Teil so im Werkzeug zu platzieren, dass Kanäle, Öffnungen oder Nuten lotrecht zur Formöffnung stehen, kann es durch eine einfache 90-Grad-Drehung so ausgerichtet werden, dass diese Merkmale nach oben zeigen und somit parallel zur Öffnung verlaufen. Da dies jedoch im ungünstigsten Fall in anderen Bereichen zu Herausforderungen führen oder das Teil unformbar machen kann, ist es wichtig, dass Sie die Machbarkeitsanalyse (Design for Manufacturability) genau prüfen. Die DFM-Analyse erhalten Sie, nachdem Sie Ihr Teiledesign für eine Angebotsanfrage hochgeladen haben. Wenden Sie sich bei Fragen bitte an das Team für Anwendungstechnik, das Sie gern berät. Sollte eine Änderung der Ausrichtung nicht möglich sein, ist dies jedoch kein Grund zur Sorge; Sie haben noch weitere Möglichkeiten.

 

Empfehlung: Verwendung von Seitenschiebern

Die Fertigung Ihres Teils ist mithilfe von Seitenschiebern möglich. Farbige Pfeile und Flächen in derselben Farbe kennzeichnen Hinterschneidungsmerkmale, die sich mithilfe von Seitenschiebern formen lassen.

Problematische Hinterschneidungsmerkmale lassen sich oft mechanisch durch Seitenschieber oder Nocken beheben. Durch Seitenschieber lassen sich Merkmale wie Haken, Clips und Öffnungen in Spritzgussteilen realisieren. Wie der Name bereits sagt, bewegen sich diese Vorrichtungen seitwärts – auf der X- und Y-Achse – während sich das Werkzeug schließt, um die gewünschten Merkmale zu erzeugen. Beim Öffnen der Form wird eine Nocke aktiviert, die die Seitenschieber vom Werkstück zurückzieht.

Ein Werkzeug kann mit mehreren Seitenschiebern ausgestattet sein, sofern im Formboden ausreichend Platz ist. Die Bewegung der Seitenschieber kann in beliebiger Richtung senkrecht zur Zugrichtung (der in der DFM-Analyse blau eingezeichneten Z-Achse) erfolgen. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass es automatisch erfolgt. Dies beschleunigt den Produktionszyklus und macht ein manuelles Bestücken überflüssig. Als Kompromiss erhöht sich jedoch die Komplexität des Werkzeugs. Führen Sie daher unbedingt eine Kostenanalyse durch, insbesondere bei kleineren Produktionsmengen. Unser automatisiertes Angebotstool erleichtert Ihnen die Ermittlung des kosteneffektivsten Ansatzes. Sie können sich jedoch auch an unser Team für Anwendungstechnik wenden, um alternativ verfügbare Optionen zu erörtern.

 

Empfehlung: Verwendung von Werkzeugeinsätzen

Die Fertigung Ihres Teils ist mithilfe eines oder mehrerer Einsätze möglich. Farbig schraffierte Flächen kennzeichnen Hinterschneidungsmerkmale, die sich mithilfe von Pick-Outs, Einsätzen oder Abstreifplatten formen lassen. An den Trennstellen der Einsätze kann eine Trennlinie sichtbar sein.

Eine weitere gängige Technik zur Formung von Hinterschneidungen sind von Hand bestückte Einsätze, auch Pick-Out genannt. Wenn Seitenschieber unpraktisch sind (mehr dazu folgt), kann das Werkzeug zu Beginn jedes Spritzgusszyklus vom Bedienpersonal manuell mit einem Einsatz aus Metall bestückt werden. Damit lassen sich Fenster, Öffnungen, Lippen und andere Arten von Hinterschneidungen formen. Der Einsatz wird danach aus dem Teil entfernt und wiederverwendet.

Bei Bedarf können mehrere Einsätze verwendet werden. Diese sollten sich jedoch an leicht zugänglichen Positionen befinden – vorzugsweise nahe der Trennebene – und nach Möglichkeit so im Werkzeug fixierbar sein, dass sie an Ort und Stelle bleiben, wenn der Kunststoff in die Form fließt. Die Einsätze sollten auf der Unterseite des Werkzeugs entnommen werden können oder an der Trennebene anliegen. Da es sich um einen manuellen Prozess handelt, wird ein geringer Aufpreis pro Stück für die Bearbeitung erhoben.

 

Hilfreiche Pick-Out-Nocken

Hier ein paar weitere Dinge, die Sie beim Entwurf von Teilen mit Hinterschneidungen berücksichtigen sollten. Da wir uns auf die Prototypen- und Kleinserienherstellung von Kunststoff-Spritzgussteilen spezialisiert haben, bieten wir manche der erweiterten Funktionen herkömmlicher Produktionswerkzeuge nicht an, die exponentielle Mehrkosten verursachen. Unsere optionalen Seitenschieber sind auf Bewegungen in X-Y-Richtung (lotrecht) beschränkt. Bewegungen in Schrägrichtung oder Formschlussflächen sind nicht möglich. Auch bieten wir derzeit keine Heber an, die ähnlich wie Seitenschieber funktionieren, aber in das Innere des Teils geschoben und vor dem Öffnen der Form herausgezogen werden.

Stattdessen verwenden wir eine andere Art von Seitenantrieb, den so genannten Pick-Out-Nocken, d.h. einen Pick-Out-Einsatz, der auf einer Gleitschiene befestigt ist und manuell in die richtige Position geschoben wird. Dies ist deutlich schneller, als den Einsatz manuell in die Form zu setzen. Wichtig ist zudem, bei der Bestimmung der Größe und der Positionierung von Hinterschneidungen diverse Faktoren zu beachten, wie etwa den Abstand zur Trennebene, die Formschräge, die Größe und die Geometrie des Teils sowie die Nachgiebigkeit des Materials. Sehr steife Kunststoffe wie Polycarbonat (PC) sind weniger nachgiebig.


Die Lösung liegt in der Formschräge

Bei Spritzgussteilen ist der Winkel der Formschrägen ausschlaggebend. Eine unzureichende oder falsch ausgerichtete Formschräge kann eine Hinterschneidung bilden, die das Entformen verhindert und den Spritzgussprozess unnötig behindert. Wir empfehlen bei allen vertikalen Flächen mindestens 0,5 Grad. Je höher die Formschräge, desto leichter funktioniert das Entformen, insbesondere bei großen oder strukturierten Oberflächen. Mitunter lassen sich durch Formschrägen sogar seitliche Bewegungen und von Hand bestückte Einsätze vermeiden. Erwägen Sie bei einem kastenförmigen Teil etwa ein Fenster oder einen senkrechten Schlitz auf einer Seite. Bei einer ausreichend starken Formschräge hat das Teil beim Öffnen der Form genug Platz, um sich vom Kern und dessen mit Hinterschneidungen versehenen Geometrie zu lösen.

Wie bereits erwähnt, können Sie sich bei Fragen zu den obigen und anderen Designthemen gern an unser Team für Anwendungstechnik wenden. Senden Sie einfach eine E-Mail an [email protected] oder rufen Sie uns an unter +49 (0) 89 90 5002 0.